Sozialleben und Seele

Insbesondere leicht sichtbare und deformierende Gefäßanomalien können zusätzlich zu den körperlichen auch zu gesellschaftlich-sozialen und seelischen Gesundheitsproblemen führen. Insbesondere, wenn sie zudem chronisch schmerzhaft sind.

Dies wird häufig verstärkt durch die Seltenheit der Erkrankung, da dadurch ein Erfahrungsaustausch der Beteiligten untereinander schwer ist und die Einzigartigkeit oft als Einsamkeit erlebt wird.

Zudem sind diese Erkrankungen chronisch und können auf Dauer die Aktivitäten des täglichen Lebens einschränken. Die bereits sehr frühe Sichtbarkeit der kapillären Malformation insbesondere im Gesicht, an den Händen, am Hals und am Dekolletee kann schon in jungen Jahren zu einer zumindest subjektiv empfundenen Stigmatisierung führen. Gleiches gilt für entsprechende Großwuchssyndrome mit stark von der Norm abweichender Form eines Körperteils.

Hinzu kommen häufig negative Therapieerfahrungen entweder durch die Anwendung von erfolglosen beziehungsweise sogar schädlichen Therapien. Eine häufig wiederholte Aussage ist: „Dass man da eben nichts machen könne“. Dass in Deutschland aktuell eher eine Unterversorgung an entsprechender fachärztlicher interdisziplinärer Expertise und Versorgung im Gebiet der Gefäßanomalien  vorherrscht, wird den Betroffenen nicht selten schmerzlich bewusst. Daraus kann zusätzliche Verunsicherung resultieren. Im Kapitel „Patienten und Angehörige“ wird ausführlich dazu aus Patientensicht berichtet.

Diese Erfahrungen führen manchmal auch zu einem Rückzug aus dem Sozialleben. In diesen Fällen handelt es sich um eine Spirale nach unten, die zu zunehmendem Rückzug führt, bei immer geringeren Sozialkontakten. Auch das Eingehen von Partnerschaften ist dann regelmäßig betroffen.

Hierbei ist wichtig: Dies gehört als seelische und soziale Problematik nicht zu dem primären Krankheitsbild der Gefäßanomalien, sondern ist ein typisch sekundäres Phänomen.

Direkte hirnorganische oder psychiatrische Erkrankungen sind bei peripheren Gefäßanomalien ausgesprochen selten und nicht Teil der Erkrankung. Sozialer Rückzug und gegebenenfalls seelische Probleme sind im Falle ihres Auftretens stets reaktive, sekundäre Reaktionen auf die Erkrankung und nicht primäre Persönlichkeitseigenschaften oder gar primärer Teil der Erkrankung. Damit sind sie regelmäßig auch eher aus psychologischer Sicht als aus psychiatrischer Sicht zu therapieren.

Als reaktive Veränderungen sind sie psychologisch adressierbar, und damit vor allem von den Betroffenen selbst klar zu beeinflussen. Die Prognose nach entsprechender Aufklärung der Zusammenhänge und Therapie ist an sich gut.

Eltern sollten ihren betroffenen Kindern schon früh vermitteln, dass es sich um eine Anomalie, also um eine Variante handelt und sie nicht von normalen sozialen Aktivitäten (einschließlich Sport) ausnehmen. Dies wäre hinsichtlich psychischer Reaktionen falsch verstandene Rücksicht oder unangebrachte Vorsicht, die zu einem negativen Körperselbstbild führt.

Praktisch alle Patienten mit Gefäßanomalien können am normalen Soziallleben teilnehmen, eine entsprechende spezifische medizinische Therapie kann auch bei schweren Gefäßfehlern angeboten werden.

Die adäquaten Bearbeitungs- und Bewältigungsstrategien im Umgang mit der Erkrankung müssen gemeinsam mit dem Patienten und oft auch Angehörigen und Partnern erarbeitet werden. Das Erlernen der Hintergründe der Erkrankung und auch der individuellen Prognose hilft vielen Patienten und Angehörigen als wichtiger Schritt in der Verarbeitung von krankheitsbezogenen Zukunftsängsten.

Viele Patienten erarbeiten sich auch selbst gute Verhaltensstrategien und sollten ihre oft nicht unähnlichen Sorgen und Probleme, sowie Ihre individuelle Lösung durch Kontakt mit anderen Betroffenen teilen. Aufgrund der Seltenheit der Erkrankung sind hier entsprechende Kontakte über Selbsthilfegruppen besonders wertvoll.

Bei schwerwiegenden gesundheitlichen und seelischen Problemen, die eine soziale Anbindung langfristig erschweren, wird die Behandlung und Beratung an einem interdisziplinären Expertisezentrum für Gefäßanomalien empfohlen. Entsprechende professionelle, psychologisch geschulte Hilfe ist hier direkter Teil des Behandlungsteams oder kann vermittelt werden.

Von besonderer Bedeutung ist hier neben der psychologischen auch die fachanästhesiologische Betreuung eines chronischen Schmerzsyndroms, da dieses ebenfalls erhebliche Auswirkungen auf die psychische und soziale Gesundheit eines Patienten hat.