Kapitel: Arteriovenöse Malformationen
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Update: 2020/03/28
Autor/en: Uller, Wibke
Die Besonderheit des klinischen Erscheinungsbildes einer arteriovenösen Malformation (AVM) lässt sich von ihrer speziellen Hämodynamik ableiten:
Durch den Shunt als direkte, pathologische Verbindung vom arteriellen Hochdrucksystem zum venösen Niederdrucksystem entsteht ein Umgehungskreislauf entlang des Druckgefälles. Dieser weist, im Vergleich zum normalen, physiologischen Kreislauf mit regelrecht dazwischen angelegtem Kapillarbett, einen deutlich niedrigeren Flusswiderstand auf. Entsprechend des geringeren Flusswiderstands fließt damit mehr Blut über den Shunt, also die arteriovenöse Fistel bzw. arteriovenöse Malformation, als über das normale Kapillarbett im gesunden Gewebe mit seinem höheren Flusswiderstand.
Durch diesen pathologisch vermehrten Blutdurchfluss (Shunt) kommt es zunächst zu einer Erweiterung der zur arteriovenösen Malformation führenden Arterien („Feederarterien“), die in einem späteren Verlauf der Erkrankung auch degenerative Wandveränderungen mit Dilatation und Aneurysmabildung (sogenannte „flow-related aneurysms“) aufweisen können.
Darüber hinaus sind die abführenden Venen der arteriovenösen Malformation einem erhöhten Blutvolumen und Blutdruck ausgesetzt. Es kommt auch hier zu einer Erweiterung mit entsprechenden morphologischen und funktionellen Veränderungen der Venenwand. Die erhöhte Druckbelastung im venösen System wirkt sich auch negativ auf die Venen peripher der Läsion aus, so dass im Verlauf auch dort Funktionseinschränkungen zu verzeichnen sind.
Diese Gegebenheiten führen 1. zu einem geringeren Druck im arteriellen System und 2. zu einem erhöhten venösen Druck peripher der arteriovenösen Malformation. Hieraus resultiert über einen verminderten Gewebeperfusionsdruck eine relative Minderversorgung des Gewebes an arteriellem, sauerstoffreichem Blut und eine zusätzliche chronisch venöse Insuffizienz. Auf den verminderten arteriellen Druck, hervorgerufen durch die Shunts der arteriovenösen Malformation, reagiert das Herz mit einer Erhöhung des Herzminutenvolumens i. S. einer erhöhten kardialen Auswurfleistung. Die entsprechenden Folgen sind im Sonderkapitel kardiale Komplikationen aufgeführt.
Auf Grund der unterschiedlichen individuellen Ausprägung, Angioarchitektur und Lokalisation einer arteriovenösen Malformation kann der Krankheitsverlauf von Patient zu Patient deutlich variieren. Trotz der Tendenz, immer progredient im Verlauf zu sein, kann eine arteriovenöse Malformation auch symptomfreie Intervalle durchlaufen. Ein spontaner, natürlicher Regress dieses Krankheitsbildes ist allerdings so gut wie nie zu erwarten.
Die meisten oberflächlichen arteriovenösen Malformationen werden in der Kindheit diagnostiziert, 8,5 % der arteriovenösen Malformationen dagegen erst in der Pubertät. Da die Fast-flow-Eigenschaften der arteriovenösen Malformation während des Kindesalters oftmals noch nicht stark ausgeprägt sind, werden sie an der Haut in dieser Lebensphase häufig als infantile Hämangiome oder kapilläre Malformation fehldiagnostiziert. Ca. 21 % der arteriovenösen Malformationen erfahren allerdings auch im Erwachsenenalter keine korrekte Diagnosestellung.
Insgesamt sind arteriovenöse Malformationen durch ihren häufigen, wenn auch oft langsamen Progress, die Neigung zu Rezidiven bei unvollständiger Therapie und durch die Möglichkeit einer Verschlechterung bei inadäquater Therapie sehr schwer zu behandeln. Sie stellen unter allen Gefäßmalformationen die größte Herausforderung für Patienten und Ärzte dar.