Kapitel: Orthopädische Probleme bei Gefäßmalformationen
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Update: 2020/03/05
Autor/en: Kertai, Michael Amir
Im Wesentlichen kann man zwei Ursachen von Kontrakturen bei Patienten mit Gefäßmalformation unterscheiden:
Die korrekte Differenzierung der Ursache ist essentiell, um die richtige Therapie zu wählen und den Therapieerfolg abzuschätzen.
Da es bei Gefäßmalformationen immer wieder zu chronischen Schmerzen kommen kann, nehmen Patienten hierbei häufig eine Schonhaltung ein.
Am häufigsten zu beobachten ist dabei die vollständige Entlastung eines Fußes, wenn dieser infolge der Malformation bei Berührung des Bodens schmerzt. Der Patient nimmt dann zur Schonung eine Hüft- und Kniebeugung ein und hebt damit, an Unterarmgehstützen laufend, den Fuß vom Boden an. Bereits nach wenigen Tagen stellt sich als Folge eine Verkürzung der Hüft- und Kniebeugemuskulatur ein. Je länger die Schonhaltung anhält, desto ausgeprägter wird die Kontraktur.
Eine andere Form der schmerzbedingten Kontraktur entsteht dann, wenn der Druck der umgebenden Muskulatur auf die Gefäßmalformation in gewissen Beuge- oder Streckstellungen variiert und der Patient die entsprechend schmerzärmste Position chronisch einnimmt.
Folgende Kasuistik stellt einen solchen Fall und seine Behandlung vor:
12-jähriger Patient mit PTEN-Hamartom im Bereich des Oberschenkels direkt über der Kniescheibe. Infolge Schmerzen durch mechanischen Druck bei Kniestreckung wurde stets eine Beugehaltung eingenommen. Zudem Beinlängendifferenz mit einer Überlänge von ca. 3 cm des linken Beines. Das Detailbild zeigt die maximal mögliche aktive Streckung des linken Knies. Auf dem Röntgenbild erkennt man die, durch Beugehaltung bedingte, plastische Verbiegung der Tibia im Wachstum. Der Gefäßtumor (Hamartom) befindet sich nur im Bereich des Oberschenkels. Die Verformung des Unterschenkels ist also sicher auf die anhaltende Kniebeugung zurückzuführen. Da sich das PTEN-Hamartom vor allem medialseitig des Femurs befindet (T2-gewichtete MRT), wurde eine Umstellungsosteotomie des Femurs über einen lateralen Zugang geplant. Ziel war, die Kniebeugekontraktur mit einer einzigen Operation zu beheben. Die Behandlung des Gefäßtumors war nicht Ziel der Therapie. Da der Patient auf der betroffenen Seite eine Überlänge von gut 3 cm hatte, wurde entschieden, den Eingriff als „closed-wedge“-Osteotomie durchzuführen und hierbei die Beinlängendifferenz auch mit zu korrigieren. Seitliches Röntgenbild nach der Operation. Das linke Knie kann der Patient nun vollständig strecken. Gips oder sonstige Ruhigstellung ist aufgrund der Verwendung eines winkelstabilen Implantates nicht notwendig. So kann der Patient seine Kompressionsware wieder verwenden und die Dauer der Antikoagulation verkürzt werden.
Anm.: 1. Die beiden sichtbaren Fäden sind die Röntgenstreifen der Kompressen auf der Operationswunde.
Anm.: 2. Der deutliche Kalibersprung ober- und unterhalb der Osteotomie entsteht durch die Entfernung des 3 cm messenden Keils zur Korrektur der Beinlänge.
Die Einschätzung der Therapiemöglichkeiten muss sehr individuell erfolgen. Die reine technische Machbarkeit einer operativen Behandlung darf nicht die Grundlage zur Entscheidung sein.
Gerade bei schmerzbedingten Kontrakturen infolge einer schmerzhaften Malformation an der Fußsohle bringt es gar nichts, die Kontraktur operativ zu behandeln, solange der Patient danach schmerzbedingt den Fuß nicht belastet und erneut in die gleiche Schonhaltung verfällt. Hier ist ein interdisziplinärer Ansatz zur Therapie der Malformation umso wichtiger.
Ist auch nach Kontrakturbehandlung nicht von einer Verbesserung der Funktion auszugehen, muss als letzte Option auch eine Amputation in Betracht gezogen werden.
Insbesondere bei der „Fibro Adipose Vascular Anomaly“ (FAVA) ist durch den regelhaften konstriktiven, bindegewebigen Umbau mit Verkürzung der Muskulatur mit Kontrakturen zu rechnen. Am häufigsten betrifft dies die Wadenmuskulatur und einen daraus resultierenden Spitzfuß.
Um Therapieoptionen aufzuzeigen, muss man verstehen, wie es bei der „Fibro Adipose Vascular Anomaly“ zur Kontraktur kommt:
Durch den Umbau der vorhandenen Muskulatur zum Teil zu bindegewebigen (fibröses Bindegewebe und Fett) Strukturen, zum Teil durchsetzt mit dysplastischen venösen Gefäßen, kommt es zu einem Verlust an dehnbarem Muskel.
Im Rahmen des Wachstums des darunter liegenden Knochens kann sich der umgebende veränderte Muskel nicht mehr an die neuen Längenverhältnisse anpassen. Dies führt dann zu einer zunehmenden Kontraktur.
Dies bedeutet aber auch, dass eine Therapie im Wachstumsalter immer ein hohes Risiko eines Rezidivs birgt. Dennoch sollte die Behandlung nicht zu spät durchgeführt werden, weil die Therapie einer langjährigen Spitzfußkontraktur komplexer und die Rehabilitation des Patienten erschwert ist.
Die einfachste Therapie stellt die Achillessehnenverlängerung dar. Sie ist eine gute Option bei Patienten, die nur wenig Schmerzen durch die Malformation haben, und bei denen lediglich ein Spitzfuß vorhanden ist.
Die Achillessehnenverlängerung sollte Z-förmig und offen durchgeführt werden. Perkutane Verfahren bergen aufgrund der teils massiven Phlebektasien potentiell je nach Ausdehnung ein erhöhtes Blutungsrisiko.
Wenn von den Patienten toleriert, sollte im Wachstumsalter eine Behandlung mittels Nachtlagerungsorthese folgen, um das Rezidivrisiko zu verringern bzw. den Zeitpunkt des Rezidivs hinaus zu zögern.
Bei Patienten mit wiederholten und starken Schmerzen infolge der FAVA ist die Achillessehnenverlängerung eine unbefriedigende Option, da hierbei vorübergehend zwar der Spitzfuß korrigiert werden kann, die Patienten das Bein schmerzbedingt aber trotzdem nicht belasten und ein Rezidiv des Spitzfußes häufig ist.
In diesen Fällen ist die Entfernung der FAVA mit dem betroffenen Muskel zu empfehlen. Dies kann einen sehr aufwändigen Eingriff darstellen, wenn im Bereich des Kniegelenkes Nerven und normale Gefäße von der Malformation „ummauert“ werden. Es ist jedoch der einzige therapeutische Ansatz, um sowohl die Kontraktur als auch die weiteren Beschwerden, die die FAVA verursacht, zu behandeln.
Zu beachten ist insbesondere bei Patienten mit langanhaltenden Schmerzen im Vorfeld der Operation, dass mit einer langen Rehabilitationszeit zu rechnen ist, bei der eine Schmerztherapie mit zum Konzept gehören sollte.
Ebenso sind eine oder mehrere vorherige Sklerosierungen der venösen Malformationsanteile der FAVA präoperativ die Regel. Kommunikationsvenen mit dem tiefen Leitvenensystem sind obligat vorher zu verschließen (interventionell oder offen operativ) um das Thrombembolierisiko zu verhindern.