Antiangiogene Therapieansätze

Aufgrund von kasuistischen Beobachtungen, zufällig entdeckten Nebeneffekten, aber auch aus grundsätzlichen pathophysiologischen Überlegungen auf der Basis vor allem neuerer genetischer Erkenntnisse werden neue medikamentöse Therapieansätze bei Patienten mit Gefäßanomalien zur Zeit intensiv klinisch und in Studien getestet.

Durch die Entdeckung neuer somatischer oder Keimbahn-Mutationen vor ca. 10 Jahren wurde als Ursache für der Entstehung von Gefäßmalformationen eine Hyperaktivierung von zwei wichtigen intrazellulären Signal-Kaskaden identifiziert: Der RAS/MAPK/ERK und/oder der Phosphatidylinositol-3-Kinase (PIK3) / Protein-Kinase B / Mammalian target of rapamycin (mTOR) pathway.

Verschiedene gezielte molekulare Inhibitoren für diese Signal-Kaskaden wurden vor allem in der Krebstherapie entwickelt, da hier bei bestimmten Tumortypen die selben Signal-Kaskaden eine Rolle spielen. Insbesondere der mTOR-Inhibitor Sirolimus ist bei Gefäßanomalien inzwischen in vielen Studien auch auf seine Wirksamkeit hinsichtlich klinischer Veränderungen, Lebensqualität sowie radiologischen Befundverbesserungen untersucht worden. Insbesondere ähnliche in der Krebstherapie angewandte Medikamente werden aktuell intensiv auf ihre Wirksamkeit bei Gefäßanomalien untersucht.

Keiner der hier beschriebenen Therapieansätze ist jedoch bisher in der klinischen Routine angelangt.

Keines der folgenden Medikamente kann daher außerhalb eines individuellen Heilversuchs nach individueller Risiko-Nutzen-Abwägung an speziellen Zentren und/oder außerhalb einer Studie eingesetzt werden.
Zudem sind die tatsächliche Wirksamkeit oder auch eventuelle unerwünschte Nebenwirkungen bisher nicht umfassend geklärt.

Keines der hier angeführten Medikamente hat eine Zulassung in der hier angeführten Indikation.

Eine Verabreichung wird daher nur in besonderen Fällen durch entsprechend spezialisierte und erfahrene Ärzte überhaupt erfolgen können, meist im Rahmen von Therapiestudien, für die hohe Anforderungen an Information und Aufklärung sowie Durchführung und Nachbeobachtung gelten.

Thalidomid

Thalidomid hat eine starke antiangioneogenetische Wirkung. Unter anderem ist nachgewiesen ein suppressiver Effekt auf Vascular-Endothelial-Growth-Factor (VGEF).

Eine Verminderung der Blutungsstärke bei Epistaxis bei Patienten mit hereditärer hämorrhagischer Teleangiektasie (HHT · Morbus Osler) wurde mehrfach publiziert.

Ebenso sind mehrere kleine Serien publiziert, bei denen durch Gefäßmalformationen bedingte gastrointestinale Blutungen verbessert wurden.

Kombinationen mit Interferon und Zoledronat wurden zwar in Studien angewandt, ohne eine sichere Überlegenheit der Zusatzmedikation sichern zu können. Hiervon wird abgeraten.

Es existieren bisher keine veröffentlichten Ergebnisse hinsichtlich der Wirksamkeit von Thalidomid bei Slow-flow-Malformationen (venös oder lymphatisch).

Das hohe antiangiogene Potential von Thalidomid wird aktuell in weiteren Studien bei Patienten mit schweren Komplikationen durch Gefäßmalformationen, meistens Blutungen oder schnelle Proliferation von arteriovenösen Malformationen, untersucht.

Gesicherte schwere Nebenwirkungen existieren:

  • Der bekannte teratogene Effekt.
  • Bis zu 20 % der Patienten entwickeln eine periphere Neuropathie.
  • Nach persönlich kommunizierten Erfahrungen soll es in hoher Dosierung zu medikamenteninduzierten psychiatrischen  Störungen, insbesondere Depressionen, kommen können.

Damit ist eine mögliche Wirksamkeit in sehr schwierigen Fällen denkbar, es sind jedoch auch schwere Nebenwirkungen möglich. Ein Einsatz in der klinischen Routine verbietet sich heute.

mTOR-Inhibitoren – Sirolimus

Sirolimus (auch Rapamycin genannt) wurde ursprünglich als Makrolid-Antibiotikum entwickelt und dann nach Nachweis eines immunsuppressiven und antiproliferativen Effektes in der Prophylaxe einer Abstossungsreaktion vor allem nach Nierentransplantation eingesetzt.

Bis heute zählt es zu den Standardkombinationspräparaten in der immunsuppressiven Therapie in der Transplantationsmedizin der Niere.

Sirolimus wird aber auch erfolgreich als ein oberflächenwirksames Coating an Gefäßstents und Gefäßdilatationsballons angewandt, um über die lokale antiproliferative Wirkung in der Gefäßwand eine Wiederverengung des Gefäßes nach Behandlung der Verengung zu verhindern.

Der antiproliferative Effekt über eine Hemmung der Angioneogenese wurde auch bei der Wachstumshemmung bestimmter Tumoren und Metastasen in mehreren Studien untersucht. Auch hier scheint der Effekt über eine Veränderung des Vascular-Endothelial-Growth-Factors (VGEF) messbar zu sein.

Seit 2011 wurden erste positive Berichte des Einsatzes von Sirolimus in Kasuistiken und kleineren Fallserien bei Patienten mit ausgedehnten Gefäßmalformationen und entsprechenden schweren Krankheitsbildern publiziert.

Besonders wirksam scheint Sirolimus zu sein bei ausgedehnten, schweren mikro- oder makrozystischen lymphatischen Malformationen.

Auch positive Berichte über die Behandlung von intraossärer lymphatischer Malformation bei Gorham-Stout-Disease oder Generalized-Lymphatic-Anomaly liegen vor.

Inzwischen liegen mehrere Publikationen und umfangreiche Erfahrungsberichte zum Einsatz des Sirolimus bei kaposiformem Hänangioendotheliom vor mit bisher positivem Ergebnis. Eine internationale prospektive multizentrische Phase-II- und Phase-III-Studie hierzu ist aufgelegt.

Ebenfalls erste positive Veröffentlichungen zum Einsatz von Sirolimus liegen vor zur Verminderung von gastrointenstinalen Blutungen bei venöser Malformation der Darmschleimhaut, insbesondere bei Blue-rubber-bleb-Naevus-Syndrom. Hier wurden auch Verminderungen des Volumens der Läsionen berichtet.

Ein fraglicher Effekt in der Verminderung von Blutungshäufigkeit und Proliferationsaktivität bei schweren, komplizierten arteriovenösen Malformationen ist ebenfalls zwar berichtet, scheint jedoch insgesamt deutlich weniger ausgeprägt zu sein und konnte nicht in allen Studien nachgewiesen werden. Hiervon wird aktuell abgeraten, da die gefunden genetische Grundlagen der arteriovenösen Malformationen eher auf eine Störung der RAS/MAPK/ERK-Signalkaskade hindeuten.

Zum heutigen Zeitpunkt erscheint ein möglicher zukünftiger klinischer Einsatz von Sirolimus bei Patienten mit Gefäßmalformationen und schwerem klinischen Verlaufsbild durchaus sehr vielversprechend.

Begründet ist dies auch durch pathophysiologische Erkenntnisse im Zusammenhang mit der zentralen Rolle, die Veränderungen des PIK3CA/AKT signalling pathways bei der Entstehung von Gefäßanomalien spielen.  Sirolimus (Rapamycin) ist ein zentraler Inhibitor dieses mammalian target of Rapamycin (mTOR) pathways.

Sirolimus hat jedoch auch potentiell schwere, unerwünschte Nebenwirkungen. Der Einsatz außerhalb von Einzelfällen an entsprechend erfahrenen Zentren und/oder außerhalb von Studien ist daher bisher nicht anzuraten. Zudem erfordert die Auswahl und Einstellung eines idealen therapeutischen Zielspiegels von Sirolimus viel Erfahrung.

Wichtigste Nebenwirkung ist der dosisabhängig zunehmende immunsuppressive Effekt. Dieser Effekt führt auch zum primären Einsatz von Sirolimus in der Transplantationsmedizin. Praktisch kann es dosisabhängig zu vermehrten und schwerer verlaufenden Infektionen kommen, insbesondere von Pneumonien und Harnwegsinfekten. Häufiger entstehen als Nebenwirkung auch Aphten, also entzündliche Schleimhautläsionen an der Mundschleimhaut. Die Haut kann unreiner werden, es entsteht bei manchem Patienten eine Akne.

Auch gastrointestinale Nebenwirkungen sind relativ häufig, diese Wirkung lässt in der Regel nach mehreren Wochen nach.

Die Anzahl der roten und weißen Blutkörperchen kann sich deutlich, auch gefährlich erniedrigen. Daher sind entsprechende Laborkotrollen (inkl. Leber, Niere, Blutfette) regelmäßig notwendig.

Es besteht im Langzeitverlauf auch die Möglichkeit einer Tumorinduktion. Patienten im vermehrungsfähigen Alter müssen daher eine zuverlässige Kontrazeption durchführen.

Weitere Medikamente

Sildenafil, ein Phosphodiesterasehemmer, der unter anderem in der Behandlung der pulmonalarteriellen Hypertonie eingesetzt wird und vasodilatatorische Effekte hat, soll nach kasuistischen Publikationen einen positiven Effekt auf lymphatische Malformationen haben. Der dahinter liegende pathophysiologische Mechanismus ist unklar, der in den Publikationen vorgeschlagene vasodilatatorische Effekt ist unplausibel. Gerade lymphatische Malformationen weisen in ihrer Wandung keine glatten Muskelzellen auf, können somit auch nicht nach Medikamentengabe dilatieren. In systematischen Anwendungen konnten diese positiven Effekte von Sildenafil bisher auch nicht bestätigt werden.

Ein positiver Effekt im Sinne einer Minderung von chronischen Blutungen bei Gefäßanomalien des Gastrointestinaltraktes durch das Somatostatin-Analogon-Octreotid wurde berichtet und ein antiangioneogenetisches Potential dahinter vermutet. Dieser Effekt könnte jedoch auch durch eine generelle Verminderung der Durchblutung des Darms bedingt sein, in dieser Indikation wird Octreotid ebenfalls eingesetzt, z. B. bei Aszites bei portalvenöser Hypertonie bei Leberzirrhose.

Aus der bekannten Beobachtung, dass sich die Epistaxis-Blutungsepisoden bei Patientinnen mit hereditärer hämorrhagischer Teleangiektasie während der Schwangerschaft manchmal bessern und nach der Menopause wieder verschlechtern, wurde eine mögliche Rolle für Progesteron und Östrogen in der Verminderung von chronischen gastrointestinalen Blutungen aus Angiodysplasien am Darm bei HHT · Morbus Osler postuliert. Eine prospektive multizentrische randomisierte Studie konnte diesen Effekt jedoch leider nicht bestätigen.

Bevacizumab, ein gegen Vascular-Endothelial-Growth-Factor gerichteter Antikörper, besitzt eine antiangioneogenetische Wirkung und führte bei Patienten mit hereditärer hämorrhagischer Teleangiektasie sowohl systemisch als auch lokal injiziert zur Verminderung von Blutungsepisoden bei schwerer Epistaxis. Eine Verbesserung über bis zu 12 Monaten wurde mehrfach publiziert. Zu bedenken sind hier jedoch potentiell schwere Nebenwirkungen, v. a. Blutungen, verschlechterte Wundheilung, gastrointestinale Nebenwirkungen bis zur Perforation, Herzinsuffizienz, Proteinurie, Thrombembolien etc.

Genspezifische oder mutationsspezifische medikamentöse Therapieoptionen vor allem aus der Tumortherapie, die durch die Entschlüsselung der genetischen Grundlagen der Gefäßanomalien ermöglicht werden, stecken zwar noch in den Kinderschuhen, sind jedoch als proof-of-principle bereits kasuistisch eingesetzt worden. Zu nennen sind hier insbesondere wieder Inhibitoren der PIK3CA/AKT/mTOR und des RAS/MAP-Kinase-signalling pathways. Substanzen wie Trametinib, Selumetinib, Infliximab und MEK162 befinden sich in intensiver wissenschaftlicher Testung.

Auch der direkte PIK3CA-Inhibitor Alpelisib, der in der Tumortherapie bereits besser untersucht wurde, wird aktuell in Studien bei gesichert PIK3CA-mutierten Gefäßmalformationen und PROS untersucht.