Propranolol

  • Kapitel: Medikamentöse Therapie

    Artikel: 4 von 7

    Update: 2020/01/30

  • Autor/en: Hüseman, Dieter

Die Entdeckung, dass therapiepflichtige infantile Hämangiome ausgezeichnet mit dem nicht selektiven Beta-Blocker Propranolol behandelt werden können, war ein Zufallsbefund und ist erst wenige Jahre alt. Christine Labrèze et al aus Bordeaux hatten bei zunächst zwei Kindern mit komplizierten Hämangiomen im Kopf-Hals-Bereich beobachtet, dass eine im Zusammenhang mit einer drohenden Herzinsuffizienz begonnene Behandlung mit Propranolol schon innerhalb von ein bis zwei Tagen sicht- und tastbare Veränderungen des Hämangioms und schließlich seine weitgehende Rückbildung zur Folge hatte. Diese Feststellung und die daraus abgeleiteten Konsequenzen gelten zu Recht als Beginn einer Revolution der Behandlung von infantilen Hämangiomen und auch als Stimulus für die Suche nach medikamentösen Therapieoptionen für vaskuläre Anomalien insgesamt.

Evidenz und Indikation

Sehr bald nach der Erstbeschreibung der Wirksamkeit von Propranolol entstand eine sehr große Bereitschaft seitens der Ärzteschaft und seitens der Eltern betroffener Kinder, eine orale Propranololtherapie als off-label-use ohne arzneimittelrechtliche Zulassung einzusetzen. Es ist bemerkenswert, dass es in diesem Umfeld noch gelungen ist, eine große internationale randomisiert-kontrollierte Studie zum Vergleich von Propranolol vs. Placebo  (und weitere Studien) durchzuführen, mit deren Hilfe der Effekt dieser Behandlungsform zweifelsfrei und eindrucksvoll belegt werden konnte. Oral verabreichtes Propranolol führt in 95 % (Konfidenzintervall 88–99 %) der behandelten Patienten zum Erfolg im Sinne einer Regression eines infantilen Hämangioms. Eine vollständige oder fast vollständige Rückbildung wurde für 60 % der Patienten (unter Plazebo 3,6 %) dokumentiert.

Die überwiegende Zahl von infantilen Hämangiomen ist nicht behandlungspflichtig. Eine medikamentöse Therapie wird empfohlen bei einer Lokalisation in Gesicht oder Anogenitalregion, insbesondere in der Nähe der Körperöffnungen sowie bei sehr ausgedehnten Hämangiomen (> 5 % der KOF), sehr stark proliferierenden oder ulzerierenden Hämangiomen.

Zulassung, Dosierung und Anwendungsdauer

Seit 2014 ist Propranolol sowohl in den USA als auch in Europa für die systemische Behandlung infantiler Hämangiome zugelassen und wird in Form einer Fertigzubereitung als Lösung (3,75 mg/ml) vertrieben. Die konkreten Dosierungsempfehlungen werden durch den behandelnden Arzt ausgesprochen. In der Regel wird die Zieldosis von 2–3 mg/kg/d schrittweise eingesteigert. In Abhängigkeit vom Alter des Kindes und weiteren Faktoren wird der Therapiebeginn unter stationären, teilstationären oder ambulanten Bedingungen durchgeführt. Der Therapiebeginn soll unter Berücksichtigung der typischen Wachstumsdynamik möglichst früh erfolgen, üblicherweise aber nicht vor einem (korrigierten) Alter von 8 Wochen. Wird die Therapie zu früh, d. h. vor dem Einsetzen einer spontanen Regression beendet, kann es zu einem erneuten Wachstum des Hämangioms (Reboundeffekt) kommen.

Dies kann meist vermieden werden, wenn die Therapie bis zur Vollendung des ersten Lebensjahres beibehalten wird.

Unerwünschte Wirkungen

Das Auftreten der sehr seltenen schwerwiegenden Nebenwirkungen wie Unterzuckerungen, Bronchospasmus und Verschlechterung eines bestehenden Asthmas, EKG-Veränderungen im Sinne bradycarder Herzrhythmusstörungen sowie Blutdruckabfall sind dem behandelnden Arzt gut bekannt und kann durch Beachtung einfacher geeigneter Maßnahmen weitestgehend ausgeschlossen werden. Durchfall sowie Schlafstörungen und Unruhezustände treten gelegentlich auf und können Anlass für eine Dosisreduktion sein. Die Therapie ist bei Beachtung der Anwendungshinweise und Kontraindikationen so gut verträglich und sicher, dass es nur ausnahmsweise zu einem Behandlungsabbruch aufgrund von Nebenwirkungen kommt.

Andere Betablocker

Vermutlich sind andere Substanzen aus der Gruppe der Betablocker ähnlich gut wirksam wie Propranolol. Manche Behandler versprechen sich vom Einsatz selektiver Betablocker wie Atenolol eine Reduktion der unerwünschten Wirkungen und nehmen dafür das Fehlen einer Zulassung in Kauf.

Wirkmechanismus

Die Wirkweise von Betablockern auf Hämangiome ist noch nicht abschließend aufgeklärt. Der sehr rasch eintretende Effekt einer Farbveränderung und einer Konsistenzveränderung des Hämangioms wird einer Verringerung des Blutstroms durch Gefäßverengung zugeschrieben. Durch Reduktion/Hemmung der Bildung von Wachstumsfaktoren (VEGF, bFGF) wird das gesteigerte Gefäßwachstum (Angiogenese bzw. Vaskulogenese) unterdrückt. Der langfristige Effekt einer Rückbildung des Hämangioms wird auf eine Beschleunigung und Vermehrung des programmierten Zelltods (Apoptose) von Endothelzellen zurückgeführt. Es konnte gezeigt werden, dass mehrere dieser Mechanismen durch  den sauerstoffabhängigen Wachstumsfaktor HIF1α vermittelt werden.

Topische Applikation

Auch bei lokaler Anwendung mittels Gelpräparationen oder Lösungen auf der Haut reduzieren Betablocker Größe und Intensität insbesondere von oberflächlichen Hämangiomen und können hierbei beispielsweise als Alternative zu einer Lasertherapie in Betracht gezogen werden. Die meisten Erfahrungen liegen für die topische Anwendung von Timolol 0,5 % vor. Oberflächlich gelegene infantile Hämangiome zeigen ein gutes Ansprechen auf die topische Therapie. Ein Vergleich der Wirksamkeit einer topischen vs. einer systemischen Betablockertherapie wurde bisher nicht durchgeführt. Für die Lokaltherapie liegt keine Zulassung vor. Trotz der bisher dokumentierten guten Verträglichkeit fehlen systematische Untersuchungen zur systemischen Arzneistoffaufnahme und damit möglicherweise verbundenen Nebenwirkungen.

Wirksamkeit und Anwendung bei anderen vaskulären Anomalien

Bislang gibt es keine Rationale für den Einsatz von Propranolol bei anderen vaskulären Anomalien als bei Hämangiomen. Gleichwohl verleitet die überragende Wirksamkeit von Propranolol bei Hämangiomen Behandler dazu, die Substanz probatorisch bei anderen Gefäßanomalien einzusetzen, insb. wenn andere Therapiekonzepte erfolglos waren. Für wenige andere Indikationen existieren einzelne positive Fallberichte (therapieresistentes Lymphangiom bzw. Lymphangiomatose, cerebrale Cavernome ) und stimulieren damit die Suche nach weiteren medikamentösen Therapieoptionen für multilokuläre Gefäßmalformationen. Diese positiven Ergebnisse konnten jedoch nicht immer nachvollzogen werden und sind aus pathophysiologischer Sicht umstritten.