Sekundäre Infektion — Wunden und Ulzerationen

  • Kapitel: Wunden und Ulzerationen

    Artikel: 4 von 7

    Update: 2020/01/10

  • Autor/en: Ott, Hagen

Durch den Hautdefekt und weitere, mögliche Einflussfaktoren wie z. B. Wundsekret, Krustenbildung oder Nekrosen wird das Eindringen von Krankheitserregern in die Wunde (Kontamination) begünstigt. Lassen sich in der Wunde proliferierende Bakterien nachweisen, wird dies als Kolonisation bezeichnet, die in chronischen Wunden regelhaft vorliegt.

Von einer kritischen Kolonisation spricht man, wenn die Keimzahl so hoch ist, dass sie eine Abheilung der Wunde verzögert oder unmöglich macht („bacterial overload“). Häufig wird für diese kritische Kolonisation eine Grenze von mehr als 105 Mikroorganismen pro mm3 angegeben.

Erst wenn der Patient eine Immunantwort entwickelt, wird dies als Infektion bezeichnet. Diese kann als lokale Infektion auf das Wundgebiet und angrenzende Strukturen beschränkt bleiben oder zu einer systemischen Immunreaktion führen.

Lokale Leitsymptome einer Wundinfektion sind (Auswahl):

  • Rötung, Schwellung, Schmerz
  • Überwärmung
  • Eingeschränkte Funktion, z. B. einer betroffenen Extremität
  • Unangenehme Geruchsentwicklung
  • Zunahme der Exsudation
  • Veränderung des Wundsekrets, z. B. von fibrinös zu eitrig
  • Vergrößerung regionaler Lymphknoten

Treten zusätzlich Fieber, Schüttelfrost, eine generalisierte Lymphknotenvergrößerung und/oder eine Verschlechterung des Allgemeinzustandes auf, muss von einer systemischen Infektion ausgegangen werden.
Ein bakteriologischer Hautabstrich sollte bei V. a. eine sekundäre Infektion, ausbleibender Wundheilung oder bei erneuter Beschwerdezunahme nach bereits begonnener Wundheilung veranlasst werden. Er sollte in diesen Fällen zur Vermeidung einer Kontamination mit physiologischen Hautkeimen aus der Tiefe der Wunde und nicht aus oberflächlichen, krustösen Arealen gewonnen werden. Die Probenentnahme erfolgt bevorzugt spiralförmig von außen nach innen, um eine repräsentative Probe zu erhalten (sog. „Essener Wundkreisel“).

Bei Verdacht auf eine kritische Kolonisation oder lokalisierte Infektion wird zunächst eine Wundreinigung mit steriler, physiologischer Kochsalzlösung oder Ringer-Lösung vorgenommen. Anschließend wird lokal antiseptisch in erster Linie mit Octenidin oder Polihexanid behandelt, die als Fertigarzneimittel und als Magistralrezepturen des Neuen Rezepturformulariums (NRF) in unterschiedlicher Galenik zur Verfügung stehen. Eine Resistenzentwicklung gegenüber diesen Substanzen ist bislang nicht beschrieben und sie besitzen praktisch kein allergenes Potenzial.

Polihexanid wird sogar eine wundheilungsfördernde Wirkung zugeschrieben, so dass es vielerorts als topisches Antiseptikum der ersten Wahl angesehen wird. Octenidin wird häufig zur Behandlung akuter, bakteriell kontaminierter Wunden in einer Konzentration von 0,1 % eingesetzt, während Polihexanid in einer Konzentration von 0,02 % bzw. 0,04 % zur Therapie chronischer Wunden sowohl prophylaktisch als auch bei Kolonisation bzw. Infektion bevorzugt wird. Bei Anwendung von Octenidindihydrochlorid ist zu beachten, dass es wegen der Gefahr einer anhaltenden Gewebeschädigung nicht mit erhöhtem Druck in Stichkanäle oder andere „geschlossene“ Wunden injiziert werden darf.

Topische Antibiotika wie z. B. Neomycin sollten aufgrund der zunehmenden Resistenzentwicklungen und des Risikos von Kontaktallergien nicht zur Lokaltherapie von Wunden eingesetzt werden.

Bei klinischen und/oder laborchemischen Hinweisen auf eine systemische Reaktion sollte frühzeitig eine orale oder intravenöse, antibiotische Therapie gemäß Resistogramm eingeleitet werden.