Medikamentöse Therapie und Schmerztherapie

  • Kapitel: Schmerztherapie und Anästhesie

    Artikel: 5 von 8

    Update: 2020/02/16

  • Autor/en: Kramer, Jens

Eine konsequente und individuell abgestimmt medikamentöse Therapie kann dabei in jeder Phase hilfreich sein. Oftmals wird erst durch eine deutliche Schmerzlinderung die Motivation und Bereitschaft geschaffen, einen aktiven Umgang mit der gesundheitlichen Situation zu erreichen. Hierbei kann im Einzelfall auch unter Inkaufnahme von tolerablen Nebenwirkungen der Analgetika der positive Einfluss deutlich überwiegen.

Wenn konservative Maßnahmen nicht ausreichen oder eine Intervention bzw. Operation stattgefunden hat, sollte der klassische nozizeptive Schmerz auf nichtopioide Analgetika ansprechen. Für die medikamentöse Schmerztherapie gelten hierbei zunächst die etablierten Empfehlungen des WHO-Stufenschemas.

Für die Anwendung des WHO-Schemas kann vereinfachend folgendes Vorgehen im Verlauf empfohlen werden:

  • Bei der ambulanten Behandlung zu Beginn einer analgetischen Therapie im Rahmen von schmerzhaften Gefäßmalformation empfiehlt sich das Stufenschema „von vorne“, also aufsteigend.
  • In Rahmen einer (auch stationären) postoperativen bzw. postinterventionellen Schmerztherapie ist die umgekehrte Anwendung des Schemas zu empfehlen, also die absteigende Variante.
  • Wichtig ist den Stufen 2 + 3 immer die Kombination mit Analgetika der Stufe 1 und der nichtmedikamentösen Basismaßnahmen.
  • In speziellen Fällen (z. B. einschießende neuropathische Schmerzen) ist neben einer ausreichenden Basismedikation auch eine Bedarfsmedikation für den Patienten wichtig. Hierfür kommt meist ein schnell wirksames Opioid zum Einsatz.

Am Beginn der medikamentösen Therapie stehen also die „klassischen“ nichtsteroidalen Antiphlogistika (NSAR, 1 + 2; Auswahl) bzw. die Coxibe (3) und die sog. nichtsauren Analgetika (4 + 5):

  1. Ibuprofen
  2. Diclofenac
  3. Coxibe
  4. Metamizol
  5. Paracetamol

Die folgenden Tabellen zeigen mögliche Applikationsformen, übliche Dosierungen und Besonderheiten bei erwachsenen Patienten:

GruppeWirkstoffApplikationsformenDosis mgWirkdauer h
  orali.v.rektaleinzelmax. pro d 
Klassische
NSAR
Diclofenac+-+50–1002006–12
Ibuprofen+-+400 (–800)24006–12
Coxibe
(Auswahl)
Parecoxib-+-20 (–40)8012
Etoricoxib+--60 (–120)60 (-120)24
Celecoxib+--100–20040012–24
       Dosisintervall h
Nichtsaure
Analgetika
Metamizol+++500–10004000–60004–(6)
Paracetamol+++500–10004000–(6000)4–6

 

WirkstoffRetardformRezeptpflicht
DiclofenacJa> 25 mg
IbuprofenNein> 400 mg
CoxibeJa
MetamizolJa
Paracetamol> 20 St. bzw. 10 g

 

Kontraindikationen/Besonderheiten

Nichtsteroidale Antiphlogistika/Coxibe

Häufige Fehler bei der Anwendung dieser Substanzen ist die Nichtbeachtung der wichtigsten Kontraindikationen:

  • Vorbestehende Niereninsuffizienz
  • Vorbestehende gastrointestinale Ulcera
  • Schwere Herzinsuffizienz
  • Schwere koronare Herzerkrankung
  • Asthma
  • Gleichzeitige Einnahme von ASS bei KHK: 2-stündiger Abstand zwischen NSAR/Coxib und ASS empfohlen

Gerade eine vorbestehende Niereninsuffizienz kann durch eine unkritische Gabe dieser Substanzen über einen längeren Zeitraum zu einer deutlichen Verschlechterung der Nierenfunktion führen. Ebenso ist bei jeder Therapie mit NSAR von mehreren Tagen oder bei bestehenden zusätzlichen Risikofaktoren für gastrointestinale Ulcera an eine Ulcusprophylaxe zu denken. Typischerweise kommen hier Protonenpumpen-Hemmer (PPI) zum Einsatz, beispielsweise Pantoprazol 20 mg 1 x täglich. Diese Dosierung ist mittlerweile rezeptfrei erhältlich.

Nichtsaure Analgetika

  • Metamizol

Ein weiteres potentes Analgetikum ist das Metamizol. Metamizol bietet sich besonders bei der Behandlung von viszeralen Schmerzen an. Aber auch als nicht-opioides Analgetikum im Rahmen der Stufentherapie in Kombination mit einem Opioid findet es häufig Anwendung. Dies besonders dann, wenn gegen die NSAR Kontraindikationen (Niereninsuffizienz, gastrointestinale Ulcera) bestehen. Wesentliche Kontraindikationen für das Metamizol sind das Asthma und Erkrankungen des hämatopoetischen Systems. In Deutschland findet das Metamizol eine breite Anwendung, ist aber in einigen Ländern (z. B. Skandinavien, Japan) aufgrund des Risikos der Agranulozytose verboten. Auch in Deutschland wird Metamizol deshalb zunehmend kritisch hinterfragt. Idealerweise erfolgt eine Aufklärung des Patienten bei der Verschreibung von Metamizol mit dem Hinweisauf das potentielle Auftreten einer Agranulozytose. Diese manifestiert sich häufig unter dem (unspezifischen) Bild von Halsschmerzen und kann daher zu einer verzögerten Diagnosestellung führen

  • Paracetamol

Paracetamol spielt aufgrund der weiten Verbreitung, der Zulassung für alle Altersklassen und der verschiedenen Applikationsformen eine große Rolle. Oftmals reicht aber die analgetische Potenz von Paracetamol allein nicht aus, um eine suffiziente Analgesie zu erreichen. Es kommt typischerweise nur dann zur Anwendung, wenn gegen die zuvor genannten Analgetika Kontraindikationen bestehen. Selbstverständlich ist der Einsatz auch dann gerechtfertigt, wenn er in Einzelfällen zu einer suffizienten Analgesie führt. Wichtig ist die strenge Einhaltung der Tageshöchstdosen, besonders bei der fortgeschrittenen Leberinsuffizienz. In diesem Fall ist die therapeutische Breite sehr schmal. Deshalb ist vor einem unkritischen Umgang zu warnen. Packungsgrößen über 10 g sind daher inzwischen rezeptpflichtig.

  • Opiate

Sollten die nicht-opioiden Analgetika allein nicht ausreichend wirksam sein, kommen in der nächsten Stufe die niedrigpotenten Opioide (blau in der Tabelle) zur Anwendung. Die folgende Tabelle zeigt die Möglichkeiten der Applikationsformen und der Wirkstärke von Analgetika der WHO-Stufe II und III (orange; hochpotente Opiode).

WirkstoffApplikationsformenRetardformRelative
Wirkstärke*
orali.v.rektalsublingualtransdermal
Tramadol+++--+0,1
Tilidin/Naloxon+----+0,1–0,2
Piritramid-+----0,7
Morphin++-+-+1
Buprenorphin++-+++30–40
Hydromorphon++---+7,5
Oxycodon++---+2
Fentanyl-+-++-120–300

* bezogen auf die Standardsubstanz Morphin

Auch hier gilt es, die Kontraindikationen und vor allem die Nebenwirkungen zu beachten:

  • Vorsicht bei Kombination mit anderen zentralwirksamen Substanzen
  • Psychotrope Nebenwirkungen
  • Obstipation/ Mundtrockenheit
  • Miktionsstörungen
  • Übelkeit/Erbrechen

Besonders die Obstipation und die Übelkeit können die Akzeptanz und damit die Compliance des Patienten unter Umständen negativ beeinflussen.

Typische Dosierungen und deren Intervalle zeigt die folgende Tabelle:

WirkstoffDosis in mg
bei Therapiebeginn

Dosierung pro 24h
bei oraler Gabe

Tramadol retard100–2002–3
Tilidin retard100–2002–3
Morphin retard10–302–(3)
Hydromorphon retard42–(3)
Oxycodon retard102

Die genannten Dosierungen entsprechen der Anfangsdosierung, die bei der Therapie chronischer Schmerzen empfohlen werden. Ebenso sind dies Dosierungen für Patienten, die bisher keine Opiate erhalten haben.

Ausgewählte Aspekte bei der Therapie mit Opioiden

  • Im postoperativen bzw. postinterventionellen Verlauf stellt Piritramid die am häufigsten verwendete Alternative dar. Hierbei empfiehlt sich die titrierende Gabe von 3,75 bis 4,5 mg. Piritramid eignet sich bei der stationären Behandlung auch sehr gut für die patientenkontrollierte Analgesie (PCA).
  • Eine vermeintlich harmlose transdermale Applikation von Fentanyl und Buprenorphin sollte erfahrenen Therapeuten vorbehalten bleiben. Die transdermale Applikation entspricht einer parenteralen und damit systemischen Therapie. Dieses führt besonders beim hochpotenten Fentanyl immer wieder zu Überdosierungen.
  • Buprenorphin stellt eine Besonderheit dar, weil es an den Opiatrezeptoren in unterschiedlicher Weise wirkt. Auch dies erfordert therapeutische Erfahrung, sodass mit den zuvor genannten Wirkstoffen (z. B. Piritramid, Oxycodon) Substanzen existieren, die leichter zu handhaben sind.

Patientenkontrollierte Analgesie (PCAI, synonym PCA)

Die patientenkontrollierte Analgesie ist eine Methode, bei der der Patient über eine elektronisch gesteuerte Medikamentenpumpe am Bett verfügt. Die Applikation erfolgt in der Regel intravenös, in Ausnahmen auch subkutan. Angewendet wird die PCAI bei absehbar starken postoperativen Schmerzen und längerer Medikamenteneinnahme.

Schritte der patientenkontrollierten Analgesie:

  • Titrierende Dosisfindung im Aufwachraum
  • Programmierung der Medikamentenpumpe durch den Arzt:
    • Basisrate
    • Bolusgabe (kann durch den Patienten individuell abgerufen werden)
    • Sperrintervall nach Bolusgabe zur Vermeidung einer Überdosierung
    • Maximale Menge pro Stunde
  • Verlegung des Patienten mit der Medikamentenpumpe auf die Normalstation
  • Tägliche Visite durch einen speziellen Schmerzdienst

Ziel der weiteren Behandlung sollte die zügige Umstellung auf eine orale Analgesie sein.