Genetische Grundlagen — Lymphatische Malformation

  • Kapitel: Lymphatische Malformationen

    Artikel: 2 von 14

    Update: 2021/03/15

  • Autor/en: Tinschert, Sigrid

Primäres Lymphödem und umschriebene (zystische) lymphatische Malformation

Die Entwicklung des lymphatischen Systems sowie die Aufrechterhaltung der Homöostase des Gewebsflüssigkeitshaushaltes werden durch ein komplexes Netzwerk von Signalübertragungswegen (VEGF-C/VEGFR-3-Signalweg, MAPK-Signalweg und PIK3/AKT/m-TOR-Signalwegs) reguliert. Mutationen in unterschiedlichen Genen dieses Netzwerkes (über 20 Gene) führen zu einer Veränderung der Signalübertragung im Sinne eines Funktionsgewinnes oder Funktionsverlustes, woraus Beeinträchtigungen der Struktur und Funktion des Lymphgefäßsystems resultieren.

Primäre Lymphödeme in isolierter Form (Typ 1A-1C) und auch syndromal (z. B. Lymphödem-Distichiasis-Syndrom, Leung-Syndrom, Emberger-Syndrom, Noonan-Syndrom, Hennekam-Syndrom) werden durch Keimbahnmutationen verursacht und sind autosomal-dominant oder autosomal-rezessiv erblich. Dagegen beruhen die zystischen lymphatischen Malformationen (LM), sowohl isoliert als auch syndromal, auf postzygotischen Mutationen. Sie sind nicht erblich (Ausnahme: beim Cowden-Syndrom, syn.: PTEN-Hamartom-Syndrom, siehe dort).

Eine zentrale Rolle bei der Pathogenese des primären Lymphödems nimmt der VEGF-C/VEGFR-3 Signalweg ein. VEGFR3 („Vascular Endothelial Growth Factor Receptor 3“) wird in den Endothelzellen der Lymphgefäße exprimiert und vermittelt die Wirkung von Wachstumsfaktoren aus der Familie der VEGF (VEGF-A, VEGF-B, VEGF-C, VEGF-D). Funktionsverlust-Mutationen im FLT4-Gen, das den VEGFR-3 kodiert oder im Gen seines Liganden VEGF-C führen zum autosomal-dominant erblichen primären Lymphödem (Nonne-Milroy/Meige-Syndrom). Eine fehlende Stimulation des VEGF-C/VEGFR-3-Signalweges durch Mutationen im CCBE1-Gen (CCBE1 („collagen and calcium binding EGF-domain 1“) wird zur Aktivierung von VEGF-C benötigt) führt zum autosomal-rezessiven Hennekam-Syndrom. Inaktivierende Mutationen in den Genen der nukleären Transkriptionsfaktoren FOXC2 bzw. GATA2, die an der Expression stromabwärts vom VEGFR-3 gelegener Gene beteiligt sind, gehen mit dem autosomal-dominanten Lymphödem-Distichiasis-Syndrom bzw. dem ebenfalls autosomal-dominanten Emberger-Syndrom (Taubheit-Lymphödem-Leukämie-Syndrom) einher.

Primäre Lymphödeme finden sich auch gehäuft bei Krankheiten, die durch Mutationen in Genen des mitogen-aktivierten Protein-Kinase- (MAPK-) Signalwegs hervorgerufen werden (z. B. PTPN11-Mutationen beim autosomal-dominanten Noonan-Syndrom). In der Folge resultiert eine Aktivierung des MAPK-Signalweges. Derselbe Effekt kann durch einen Funktionsverlust von negativen Modulaturen dieses Signalweges hervorgerufen werden. So sind RASA1-Mutationen ursächlich für das autosomal-dominant erbliche Krankheitsbild CM-AVM und dessen nichterbliche Variante, das Parkes Weber-Syndrom.

Mutationen in Genen des PIK3/AKT/m-TOR-Signalwegs (PIK3CA sowie AKT1), die zu einer Aktivierung desselben führen, gehen mit umschriebenen LM und/oder Lymphödemen im Rahmen sporadisch auftretender Syndrome mit regionalem Überwuchs (CLOVES-Syndrom, Klippel-Trénaunay-Syndrom) einher. PIK3CA-Mutationen sind die häufigste Ursache isolierter (nicht syndromaler) LM. Mutationen, die den Ausfall des negativen Modulators des PIK3/AKT/m-TOR-Signalwegs, PTEN, bedingen, sind ursächlich für das autosomal-dominant erbliche Cowden-Syndrom (syn.: PTEN-Hamartom-Syndrom),  seine segmentale Typ2-Variante sowie das PTEN Hamartoma Of Soft Tissue (PHOST) mit gemischter Gefäßmalformation, einschließlich LM.