Proteus-Syndrom

Definition

Das Proteus-Syndrom (PS) ist durch einen nach der Geburt auftretenden, phasenweise schnell progredienten disproportionalen Überwuchs mit starker knöcherner Komponente und pathognomonischen „cerebriformen“ Bindegewebswucherungen v. a. an den Fußsohlen bzw. Handflächen charakterisiert. Darüber hinaus kommen vor allem umschriebene Fettgewebshyperplasien, epidermale Nävi und vaskuläre Malformationen (slow-flow) vor.

Viele umschriebene Hyperplasie-Phänotypen wurden vor allem in der älteren Literatur unscharf definiert und häufig unter den Begriff Proteus-Syndrom beziehungsweise „Proteus-like Syndrome“ subsummiert. Das Proteus-Syndrom im engeren Sinne ist jedoch klar definiert.

Diagnostische Kriterien

(nach Biesecker et al., 1999, Turner et al., 2004)

Allgemeine Kriterien

(Alle müssen erfüllt sein): Mosaikverteilung, überproportionale Progredienz der Hyperplasien nach der Geburt, sporadisches Auftreten.

Spezifische Kriterien

Entweder Kategorie A oder zwei von B oder drei von C muss/müssen erfüllt sein.

Kategorie A: Bindegewebsnävus (CMCTN) 
Kategorie B:Kategorie C:
Epidermaler Nävus1. Fehlregulation des Fettgewebes
Asymmetrischer, disproportionierter Großwuchsentweder/oder:
1 oder mehrere:a) Lipomatose/Lipome
(b) Hyperostose Schädelb) Regionale Lipoatrophie
(c) Hyperostose äußerer Gehörgang2. Vaskuläre Malformationen
(d) Wirbelkörper1 oder mehrere:
(e) Viscera: Milz/Thymus(a) Kapilläre
Spezifische Tumore vor 20. Geburtstag.(b) Venöse
1 von:(c) Lymphatische
(a) Bilaterale Zystadenome des Ovars3. Lungenzysten
(b) Parotisadenome4. Fazialer Phänotyp

 

Genetische Grundlage

Das Proteus-Syndrom tritt sporadisch (nicht familiär) auf. Es beruht auf einem genetischen Mosaik. Ursächlich ist eine somatische (nur im betroffenen Gewebe vorhandene) autosomal-dominante Funktionsgewinn-Mutation (c.49G>A, p.Glu17Lys) im Onkogen AKT1. Die mutationsbedingte konstitutive Aktivierung von AKT1 führt zu einer Überaktivierung des PI3K (Phosphatidylinositol-3- Kinase)/AKT/mTOR-Signalwegs und bewirkt verstärktes Zellwachstum und Anti-Apoptose.

Klinisches Erscheinungsbild

Das Bild ist äußerst variabel („protean“ = leicht veränderlich) und vielgestaltig.

Der regionale Überwuchs mit starker skelettaler Komponente beginnt meist erst in der zweiten Hälfte des ersten oder in der ersten Hälfte des zweiten Lebensjahres deutlich zu werden und ist während der Kindheit phasenweise überproportional stark progredient. Es resultiert ein oftmals erheblich asymmetrischer Überwuchs. Besonders sind Hände und Füße betroffen, aber auch lange Röhrenknochen, Wirbelkörper, Schädeldach, Gehörgänge usw. können involviert sein. Radiologische Charakteristika sind Vergrößerung und unregelmäßige Ossifizierungen betroffener Knochen sowie zunehmende periosseale Weichteilverkalkungen insbesondere in Gelenknähe, die mit massiven Formveränderungen des Knochens einhergehen. An der Wirbelsäule führt die ossäre Hyperplasie über asymmetrisch massiv vergrößerte Wirbelkörper (Hemimegaspondylodysplasie) nicht selten zu einer asymmetrischen Skoliose.

Die zerebriformen Bindegewebsnävi (englisch: „Cerebriform Mixed Connective Tissue Nevus“ [CMCTN]) sind nahezu pathognomonisch; sie treten häufiger an den Fußsohlen („Mokassinsohle“), aber auch in der Handfläche auf und sind durch eine zerebriforme, also an die Hirnoberfläche erinnernde, girlandenförmige Vermehrung von Bindegewebe gekennzeichnet.

Lokalisierte Fettgewebshyperplasien kommen besonders am Stamm vor und infiltrieren teilweise die Muskulatur. Epidermalnävi erscheinen als hautfarbene bis graubraune, leicht erhabene streifige Veränderungen mit samtig weicher, z. T. papillomatöser Oberfläche.

Die Gefäßmalformationen können Kapillaren (KM), Venen (VM) und/oder Lymphgefäße (LM) betreffen, sind also immer Slow-flow-Malformationen. Diese gehören aber nicht zu den konstanten Merkmalen des Proteus-Syndroms.

Beim Proteus-Syndrom treten häufig zystische Veränderungen des Lungengewebes auf, die sich zum Teil vergrößern können und zu Pneumonien bzw. zu einem Pneumothorax führen können.

Tumoren: Im Gegensatz zu anderen Syndromen, die mit spezifischen Tumoren assoziiert sind, besteht beim Proteus-Syndrom ein geringes, aber signifikant erhöhtes Risiko für unterschiedliche, meist gutartige Tumoren. Insbesondere Meningeome, Ovarialzystadenome und parotidale monomorphe Adenome wurden bei mehreren Personen mit Proteus-Syndrom beobachtet.

Therapie

  • Multidisziplinär und symptomatisch
  • Abklärung und Behandlung vaskulärer Malformationen und ggf. Thromboseprophylaxe in Risikosituationen
  • Wegen des asymmetrischen Extremitätengroßwuchses orthopädische Betreuung; Hilfsmittel (Korsett, Schuhe), physiotherapeutische Maßnahmen
  • Wachstumslenkung durch Epiphysiodese und ggf. Resektion von Fuß- oder Handstrahlen
  • Radiologische Untersuchung des Thorax bei Lungenproblemen und vor Operationen
  • Resektionen lipomatöser Hyperplasien (Rezidivneigung!)
  • Untersuchung auf spezifische Tumoren

Komplikationen

  • Cave: Lungenembolie als Folge tiefer Venenthrombosen, Lungenversagen durch zystisches Emphysem und Pneumonien