Kompressionsware

Indikation und Kontraindikation

Indikation für eine individuell maßangefertigte Kompressionsware stellen chronisches oder rezidivierendes Lymphödem oder Phlebödem sowie die chronisch venöse Hypertonie oder chronisch venöse Insuffizienz dar. Zudem dient die Kompression der Verminderung des Volumens der venösen Malformation und vermindert dadurch die lokalisierte intravasale Gerinnnung sowie die Inzidenz von Thrombophlebitiden und vermindert damit gleichzeitig Schmerzen und Schweregefühl besonders in den unteren Extremitäten.

Somit ist das Tragen einer Kompressionsware aus medizinischer Sicht sowohl bei venösen und lymphatischen Malformationen als auch bei arteriovenösen Malformationen, vor allem der unteren Extremität, bei fast allen Patienten indiziert. Kompression und gleichzeitige Bewegung sind besonders effektiv.

Meist reicht es in der Praxis aus die Kompressionsware nur tagsüber zu tragen, da nachts im Liegen der hydrostatische Druck gerade auf die untere Extremität auch ohne Kompression deutlich geringer ist.

Besonders wichtig ist es, die Kompressionsware zu tragen bei der Notwendigkeit lange Stehen oder Sitzen zu müssen ohne sich bewegen zu können oder bei starker körperlicher Belastung.

Auf gleichzeitige gute Hautpflege und Hauthygiene ist zu achten, da auch eine optimal angepasste Kompressionsware eine mechanische Belastung für die Haut darstellt.

Als Kontraindikationen für Kompression gelten folgende Begleiterkrankungen, die im Einzelfall jedoch genau zu diskutieren sind.

Absolute Kontraindikation:

  • Akute Infektionen und Entzündungen
  • Stark minderdurchblutete (ischämische) Extremität
  • Offene Hautstellen und Wunden

Relative Kontraindikation:

  • Herzinsuffizienz (wegen Umverteilung des Blutvolumens)
  • Arterielle Hypertonie
  • Extraanatomischer arterieller Bypass (subkutan geführt)
  • Fortgeschrittene periphere Polyneuropathie oder andere Formen der Anästhesie
  • Malignes Ödem

Individuelle Maßanfertigung

Gerade bei Patienten mit Gefäßanomalien und ggf. begleitender Weichteilgewebshyperplasie, die oft asymmetrische oder anormal konfigurierte Extremitäten aufweisen, ist eine individuell maßangefertigte Kompressionsware obligat, um:

  • Eine optimale, homogene Kompressionswirkung an jeder einzelnen Stelle zu erhalten.
  • Die Therapietreue zu erhöhen durch den besseren Anpassungsgrad und Tragekomfort.
  • Individuell unterschiedlich starke Kompressionswirkungen an verschiedenen Stellen der gleichen Extremität zu erreichen wenn dies notwendig ist.

Dazu hat eine genaue Ausmessung der Extremität des Patienten mittels einer Maßtabelle zu erfolgen. Vor Anfertigung einer neuen Kompressionsware ist diese Maßtabelle stets zu aktualisieren.  Die genaue, gründliche und kompetente Vermessung der Extremität ist die wichtigste Grundlage einer adäquaten Therapie. Falsch sitzende Kompressionsware ist schlimmer als gar keine. Die Vorlage der aktuellen Maßtabelle beim behandelnden Arzt ist zudem ein wichtiges diagnostisches Hilfsmittel und dokumentiert den Langzeitverlauf des Patienten.

Rundstrick versus Flachstrick

Grundsätzlich unterscheidet man zwischen rundgestrickter (nahtloser) und flachgestrickter (etwas härterer und mit einer Naht versehener) Kompressionswäsche.

Rundgestrickte Kompressionsstrümpfe werden vor allem bei venösen Malformationen eingesetzt und technisch mit gleichbleibender Maschenzahl über die gesamte Länge mit jedoch unterschiedlicher Maschengröße angefertigt. Sie sind gut dehnbar (Langzugstrümpfe mit elastischen Fasern) und haben im Vergleich zu flachgestrickten Kompressionsstrümpfen eher einen niedrigeren Arbeitsdruck.

Flachgestrickte Kompressionsware enthält eine Naht und wird gleichmäßig Reihe für Reihe hergestellt. Dabei variiert die Maschenanzahl, und nicht die Maschengröße. Vorteil ist die sehr gute individuelle Anpassung an eine sehr variable Körperform. Die Anteile des Strumpfes werden einzeln hergestellt und anschließend zusammengenäht. Das Material ist dabei nur sehr wenig dehnbar (Kurzzugstrümpfe ohne elastische Fasern) und weist einen höheren Arbeitsdruck auf das Gewebe auf. Daher werden sie bei sehr individuellen Körperformen und notwendigem hohen Anpressdruck, wie bei lymphatischen Malformation, großen Extremitäten oder Fettgewebshyperplasien angewendet. Schwierige Kompressionsversorgungen werden meist in Flachstrick ausgeführt, die allerdings eine perfekte Passform erfordern

Das Material der Kompressionsware sollte möglichst genau den Körperkonturen angepasst sein und beim Tragen keine Druckstellen oder Hautirritationen hervorrufen. Besonders gefährdete Stellen sind hier die Kniekehlen, der Ellenbogen und der Fußrücken beziehungsweise Rist. Falls sich hier die Haut aufscheuert, muss eine Korrektur der Kompressionsware erfolgen. Besondere Vorsicht ist auch bei zu großen Nähten in der Kompressionsware geboten, da sie die Haut nicht zu sehr belasten dürfen.

Kompressionsklasse

Die notwendige Kompressionsklasse muss nach klinischen Gesichtspunkten ärztlich ausgewählt werden. Dies besonders bei Kindern, da sie auch das Körperwachstum beeinflussen können. Bei Lymphödem ist sie meist etwas höher (stärkere Kompression) als bei Phlebödem. Die folgende Tabelle gibt eine Übersicht über die Kompressionsklassen und jeweiligen Indikationen bei Gefäßanomalien.

KompressionsklasseOberflächlich anliegender DruckKlinische Indikation bei Gefäßanomalien
ccl 115–21 mm/Hg

Milder, eher oberflächlicher Effekt

  • Prophylaxe, Kinder, oberflächliche venöse Malformation
ccl 223–32 mm/Hg

Mäßiger oberflächlicher Effekt, milder tiefer Effekt

  • Venöse Malformation, Kinder, lymphatische Malformation,
    Standart
ccl 334–46 mm/Hg

Starker Effekt

  • Lymphatische Malformation, große Extremität,
    Beine, tiefe venöse Malformation
ccl  4> 49 mm/Hg

Starker Effekt

  • Ausgeprägte lymphatische Malformation,
    venöse Malformation mit Gerinnungsstörungen
    am erwachsenen, volumenstarken Bein

 

Bei Kindern, gerade im Wachstum, muss die Kompressionsklasse etwas geringer als bei Erwachsenen ausgewählt werden, da aufgrund der geringeren Körperlänge der hydrostatische Druck insbesondere in den unteren Extremitäten etwas geringer ist und das physiologische Weichteilgewebswachstum während des Heranwachsens nicht gebremst werden soll.

Permanente deutliche Langzeitkompression bei Kindern im Wachstum kann jedoch auch helfen eine überproportionale Gewebehyperplasie und Extremitätenumfangsvergrößerung zu vermindern oder sogar in kleinerem Umfang rückgängig machen. Diese Indikation muss jedoch besonders streng ärztlich überwacht werden.

Zudem soll die Kompressionswirkung (und damit Kompressionsklasse) an der unteren Extremität aufgrund des unten schwerkraftbedingt höheren hydrostatischen Druckes eher etwas stärker gewählt werden als an der oberen Extremität.

Eine tief liegende, subfasziale intramuskuläre Malformation (meistens venös) ist schwieriger effektiv zu komprimieren als eine oberflächlich gelegene und erfordert daher auch eher eine höhere Kompressionsklasse, da der Kompressionsdruck mit zunehmender Tiefe der Läsion nachlässt.Die Kompressionsklasse ist daher bei tief liegenden Läsionen höher zu wählen als bei oberflächlichen Läsionen.

Grundsätzlich gilt bei zu erwartender oder tatsächlicher schlechter Compliance, dass eine etwas geringere Kompressionsklasse, die leichter zu tragen ist, einer gar nicht getragenen Kompressionsware mit höherer Kompressionsklasse, die im Schrank liegen bleibt, vorzuziehen ist. Die weitere Erhöhung der Compliance durch das genaue Erklären der Notwendigkeit und des praktischen Anlegens der Kompressionsware ist obligatorisch. Entsprechende einfache technische Anziehhilfen sind hilfreich und sollten gerade bei höheren Kompressionsklassen immer mitgeliefert werden.

Form und Länge der Kompressionsware

Wichtiger Grundsatz bei der Verschreibung von individuell maßangefertigter Kompressionsware ist der Umfang bzw. das Ausmaß der Körperregionen, die komprimiert werden sollen:

  • Die Kompression muss weit distal starten und das distalste Ende der Malformation überragen. Dies führt sonst zu einem Abschnürungseffekt  v. a. an Zehen/Fuß oder Finger/Hand mit verstärkter Stauung. Fingerlinge oder Zehenkappen sind hier hilfreich.
  • Falls die Zehen selbst oder die Finger nicht gestaut sind, kann man versuchen diese frei von Kompression zu lassen. Dies erhöht stark den Tragekomfort und damit auch die Compliance. Hierbei ist jedoch auf möglicherweise entstehende Abschnürungen zu achten.
  • Das proximale Ende der Kompression muss proximaler als die proximalste Ausdehnung der lymphatischen oder venösen Malformation sein (Grundsatz: Kompressionslänge größer als Länge der Krankheitsausdehnung). Das obere Ende der Kompression muss also über dem obersten Läsionsende liegen.
  • Falls die Kompressionsware zu kurz ist und die Läsion nicht auf voller Länge ganz einschließt, kommt es zum sogenannten „Quarktaschenphänomen“, also einer ballonierten, ausgequetschten Vergrößerung des überstehenden, nicht komprimierten Anteils der Malformation mit dort vermehrter Schwellung und auch Verschlechterung der Symptomatik.
  • Falls Finger oder Zehen mit einbezogen werden müssen in die Kompression, hat sich eine individuell maßangefertigte, zweiteilige Massware mit einem eigenen Füßling mit Zehenteilen (Zehenkappe) bzw. einem eigenen Handschuh mit Fingerteilen bewährt, da diese den Tragekomfort und die Kompressionsgenauigkeit deutlich erhöhen und auch das Anziehen wesentlich erleichtern. An einem Fuß können einzelne Zehen mit einem individuellen Füßling/Zehenkappe ausgespart werden aus der Kompression. An den Fingern wird das Freilassen der Fingerspitzen aus der Kompression oft ebenfalls als angenehm empfunden wenn dies möglich ist.

Praktisch kann es bei Patienten mit größeren Gefäßanomalien, auch gerade mit begleitender Weichteilgewebshyperplasie wie bei einem Klippel-Trénaunay-Syndrom, bei Einbeziehung des Gesäßes oder der Genitalien durchaus notwendig sein, einen ganzen Körperquadranten zu komprimieren. Dies erfolgt zum Beispiel mit einer sogenannten Einbeinhose, bei der ein Bein zusammen mit einem Unterhosenteil komprimiert wird, das andere gesunde Bein wird hierbei nur ganz kurz ausgeführt („Bermudateil“) oder gleich als komplette Strumpfhose ohne Kompressionswirkung an der nicht betroffenen Extremität.

Die lokale Kompressionswirkung kann bei bestimmten umschriebenen Manifestationen der Gefäßmalformationen (z. B. venöses blow-out-Aneurysma oder umschriebene epifasziale lymphatische Malformation) noch durch zielgenaues Einarbeiten einer genau vermessenen sogenannten Pelotte an einem Ort nochmals erhöht werden. Dies ist oft am Knie, Sprunggelenk oder Fuß besonders wertvoll. Hierbei ist die Anforderung an die Passgenauigkeit jedoch besonders hoch anzusehen, da das Risiko einer Druckstelle ebenfalls erhöht ist.

Therapietreue

Die Notwendigkeit des Tragens der Kompressionsware ist genau zu erklären, damit sie auch getragen wird. Folgende Hinweise sind zu geben: Wann und in welchen Situationen dies besonders wichtig ist (z. B. bei langem Sitzen und Stehen). Bei konsequentem Tragen tritt eine mögliche Verbesserung der Symptomatik ein, und weitere Komplikationen können verhindert werden.

Besonderer Aufklärung bedürfen v. a. auch Eltern von betroffenen Kindern. In eigentlich wohlmeinender Absicht wollen diese ihr Kind vor einer etwaigen Einschränkung der Freiheit, der Beweglichkeit oder der Lebensqualität durch die Kompressionsware bewahren. Hier ist entsprechende Aufklärung über die tatsächlichen, positiven akuten und prophylaktischen Langzeitwirkungen für das Kind hilfreich. Die Kinder selbst spüren schnell, dass sie unter Kompression weniger Schmerzen sowie weniger Druck- und Schweregefühl empfinden und länger laufen können. Sie tragen also bei richtiger Indikationsstellung relativ bald auch ganz von selbst ihre Kompressionsware.

Die Gründe für das Nichttragen der Kompressionsware sind jedoch vielfältig, wie dieses Diagramm zeigt.

Verschreibung von Kompressionsware

Die Verschreibung der für diese speziellen Patienten notwendigen individuell maßangefertigten Kompressionsware führt in der Praxis manchmal zu Problemen, da diese Maßanfertigungen relativ teuer sind und meist Zuzahlungen des Patienten erfordern. Bei Gefäßanomalien sind sie als Maßanfertigung jedoch klar medizinisch indiziert.

Nach der aktuellen Auslegung der in Deutschland gültigen Sozialgesetzgebung stehen jedem Patienten alle 6 Monate zwei neue Exemplare an individuell maßangefertigter Kompressionsware zu, wobei ein aktueller Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses hier für Diskussionen sorgt. Die Kosten einer ungenügenden Kompression mit zu seltenem Wechsel übersteigen im Langzeitverlauf durch auftretende Komplikationen und Verschlechterung des Krankheitsbildes die Kosten einer suffizienten Kompressionstherapie. Medizinisch ist zu sagen, dass die Kompressionswirkung auch eines sehr guten Kompressionsmaterials nach 3 bis 4 Monaten deutlich nachlässt, die medizinische Wirkung damit ebenso. Aus hygienischen Gründen muss der Patient, der permanent tagsüber komprimieren muss, seine Kompressionsware auch wechseln können, um diese waschen zu können. Falls bei der Verschreibung und Kostenübernahme Probleme auftreten, ist oft leider ein medizinisches Fachgutachten zur Notwendigkeit einer adäquaten Kompressionsware notwendig.

Bei Kindern ist zusätzlich noch das ständige Körperlängenwachstum zu berücksichtigen, das kurzfristige Größenänderungen erfordert.

Wenn die Kompressionsware Löcher oder Risse aufweist (oft bei sehr mobilen Kindern), zu stark verschmutzt und nicht mehr reinigbar ist (cave: Infektgefahr/Erysipel) oder die Kompressionswirkung sichtbar deutlich nachgelassen hat, ist eine frühzeitige Neuverschreibung (auch vor Ablauf von 6 Monaten) notwendig.