Kasabach-Merritt-Phänomen

Das Kasabach-Merritt-Phänomen (KMP) tritt praktisch ausschließlich in Zusammenhang mit kaposiformen Hämangioendotheliomen (KHE) oder viel seltener dem histologisch sehr ähnlichen, meist jedoch kleineren und auf die Haut beschränkten Tufted Angioma (TA) auf. Beide Gefäßtumoren (KHE und TA) werden von vielen Autoren als eine Tumorentität angesehen. Frühere Berichte über das Auftreten eines Kasabach-Merritt-Phänomens im Zusammenhang mit „Hämangiomen“ beruhten auf einer falschen diagnostischen Einordnung der Gefäßanomalie. Einzelberichte von KMP bei großen Angiosarkomen liegen vor.

Einen sehr seltenen Sonderfall stellt hier die neu beschriebene Multifocal Lymphangioendotheliomatosis with Thrombocytopenia (MLT) dar, von einer anderen Arbeitsgruppe auch Cutaneovisceral Angiomatosis with Thrombocytopenia (CAT) genannt. Sie äußert sich in disseminierten, meist sehr kleinen, z. T. exophytischen rötlichen Gefäßtumoren (mit Lymphgefäßendothel) an der Haut und immer gleichzeitig auch im Gastrointestinaltrakt. MLT/CAT kann ebenfalls zu einer schweren Thrombozytopenie führen.

Klinisch imponiert beim Kasabach-Merritt-Phänomen der zugrundliegende Gefäßtumor als nochmals stärker verhärtet, zusätzlich gerötet und zeigt eine Volumenzunahme, klinisch ähnlich einer akuten Entzündung und gleichzeitigen Einblutung in das KHE (intratumorale Gerinnungs- und Entzündungsaktivierung).

Bei schwerem Kasabach-Merritt-Phänomen treten zusätzlich durch das systemische Gerinnungsversagen Petechien und spontane Blutungen an Haut und Schleimhäuten auf.

Laborchemisch ist das Kasabach-Merritt-Phänomen gekennzeichnet durch eine schwere Thrombozytopenie (< 20 x 109/l) bei gleichzeitiger Hypofibrinogenämie (< 100 mg/dl), erhöhten Fibrinabbauprodukten (v. a. D-Dimere) und Auftreten von fragmentierten roten Blutkörperchen (Schizozyten; Fragmentation durch Fibrin Filamente).

Ursache

Die pathologische Aktivierung der Thrombozyten in dem Gefäßtumor und sekundäre Aktivierung der Gerinnung erfolgt wahrscheinlich durch das pathologisch veränderte, dysplastische Gefäßendothel innerhalb des kaposiformem Hämangioendothelioms. Das pathologische Endothel führt zu Thrombozytenadhäsion mit nachfolgender Aktivierung und Aggregation der Thrombozyten. Die Lebenszeit eines Thrombozyten wird damit auf 1 h–24 h drastisch verkürzt, sie werden schneller verbraucht als der Körper sie nachbilden kann.

Die aktivierten Thrombozyten aktivieren sekundär zusätzlich plasmatische Gerinnungsfaktoren (v. a. die Faktoren V, VIII, XI), was zu einer weiteren Verschlechterung der Gerinnungssituation führt, da diese über Faktor IIa die Fibrinbildung (Faktor Ia) aktivieren.

Das Fibrin wird gleichzeitig über die daraufhin aktivierte Fibrinolyse wieder abgebaut, die resultierenden Fibrinfragmente führen zu einer Fragmentation von Erythrozyten und damit Bildung von Schizozyten. Dieser Effekt auf die Erythrozyten ist jedoch meistens nicht so stark, dass hierdurch gleichzeitig eine Anämie entsteht; diese entsteht erst durch die auftretenden, oft massiven Blutungen.

Bei gleichzeitig massiv aktivierter Gerinnung und Fibrinolyse kann es zum Vollbild der Verbrauchskoagulopathie (Disseminated Intravascular Coagulation; DIC) kommen. Die oft jungen Säuglinge oder Kleinkinder mit angeborenem oder frühkindlich auftretendem KHE verfügen zudem über eine noch unreife Leber und weisen damit eine verminderte Synthesekapazität für Gerinnungsfaktoren auf.

 

Da sich diese Gerinnungsaktivierung mit gleichzeitiger Hyperfibrinolyse und Komplementaktivierung vorwiegend in dem Gefäßtumor abspielt, nimmt dieser schnell an Größe zu, wirkt praller und wärmer, wie entzündet. Dieser Effekt wird unmittelbar nach einer Transfusion von Thrombozytenkonzentraten nochmals verstärkt. Daher werden diese nur bei schwerer, klinisch manifester Thrombozytopenie sparsam infundiert, da sie zudem sehr schnell wieder verbraucht werden.

Häufigkeit und Prädisposition

Bei mehr als 50 % der Patienten mit kaposiformem Hämangioendotheliom (KHE) oder Tufted Angioma (TA) wurde ein Kasabach-Merritt-Phänomen (KMP) innerhalb des ersten Lebensjahres beschrieben. In der größten Kohorte mit 107 KHE-Patienten wurde das Auftreten sogar bei insgesamt 71 % der Patienten beschrieben. Damit besteht insgesamt eine relativ hohe Wahrscheinlichkeit für das Auftreten dieser gefährlichen Gerinnungskomplikation bei Vorliegen eines kaposiformen Hämangioendothelioms.

Hauptrisikofaktoren für das Auftreten eines KMP bei einem KHE/TA sind vor allem folgende:

  • Große Tumoren, große Tumorfläche an der Haut (> 5–8 cm)
  • Tiefe Infiltration im Körper, auch in Muskulatur und Faszien
  • Infiltration von Retroperitoneum und/oder Mediastinum

Nach Biopsien von komplizierten Tumoren mit Kasabach-Merritt-Phänomen fand sich ein histologisches Erscheinungsbild bei Auftreten eines KMP eher ähnlicher einem kaposiformen Hämangioendothelioms als einem Tufted Angioma. Auch dies spricht eher dafür, dass ein Tufted Angioma möglicherweise nur eine weniger ausgeprägte Unterart eines kaposiformen Hämangioendothelioms ist.

Therapieprinzipien

Am wichtigsten ist zunächst das Erkennen des entsprechenden Risikos für das Auftreten eines Kasabach-Merritt-Phänomens, damit also die korrekte diagnostische Einordnung eines Gefäßtumors als KHE/TA und nicht als „Hämangiom“.

Wichtigstes Therapieziel ist dann eine schnelle und effektive Verkleinerung des Tumorvolumens.

Die Kontaktfläche der zirkulierenden Thrombozyten mit dem gerinnungs- und plättchenaktivierenden pathologischen Tumorgefäßendothel muss so effektiv wie möglich verringert werden.

Hierfür stehen medikamentöse, radiologisch-interventionelle und zum Teil auch offen chirurgische Verfahren zur Verfügung.

Medikamentöse Therapie

Die klassische medikamentöse Kombinationstherapie des KHE/TA bestand aus Vincristin i.v. und oralem Prednisolon oder i.v. Methylprednisolon. Die Länge der Therapie war abhängig vom Ansprechen des Tumors, das allerdings deutlich variabel ist.

Bei Auftreten von Zeichen eines Gerinnungsfaktorenverbrauchs ist bereits frühzeitig Heparin indiziert.

Der mTOR-Inhibitor Sirolimus wird heute häufig im Einzelfall als primäre Therapie mit gutem bis sehr gutem Erfolg angewandt, die Ergebnisse aus kontrollierten Studien hierzu sind aber teilweise noch ausstehend. An vielen Zentren hat Sirolimus das Vincristin bereits verdrängt.

Einfache (Acetylsalicylsäure) oder doppelte (ASS + Clopidogrel) Plättchenaggregationshemmung werden empfohlen, um die Plättchenaktivierung und –aggregation zu vermindern. Eine effektive Hemmung eines Kasabach-Merritt-Phänomens scheint damit jedoch nicht zu gelingen.

Propranolol und Interferon alpha werden heute nicht mehr empfohlen.

Antifibrinolytische Medikamente (wie epsilon-Aminocapronsäure oder Tranexamsäure) haben sich in der publizierten Literatur im Falle der Blutung bei Kasabach-Merritt-Phänomen ebenfalls als wenig wirksam gezeigt.

Achtung: Die Transfusion von Thrombozyten verstärkt das Trapping der Thrombozyten im Tumor und führt zu einer schnellen Zunahme des Volumens des Tumors, mit Zeichen einer Entzündung und zunehmendem Schmerz sowie verstärkter Gerinnungsaktivierung und Verbrauch. Die Halbwertszeit der dabei transfundierten Thrombozyten ist extrem kurz und durch die massive lokale Thrombozytenaktivierung kommt es zusätzlich zur lokalen Ausschüttung proangiogener Faktoren mit potentieller Tumorvergrößerung. Daher ist der Einsatz von Thrombozytenkonzentraten besonders strikt zu begrenzen.

Bei manifester Hypofibrinogenämie (< 100 mg/dl) ist die Gabe von Fibrinogen oder fresh frozen plasma (FFP) indiziert mit gleichzeitiger Gabe von Heparin. Dies gilt insbesondere auch in Zusammenhang mit klinisch manifesten Blutungen.

Invasive Therapie

Zur schnellen Verbesserung der Gerinnungssituation sind invasive Therapiemassnahmen auch bei Säuglingen und Kleinkindern gerechtfertigt.

Eine offen operative Resektion des Gefäßtumors ist im Akutstadium meist nicht oder nur teilweise möglich. Grund sind die oft diffuse Infiltration des kaposiformen Hämangioendothelioms durch mehrere Gewebeschichten, die schlechte Abgrenzbarkeit zum nicht infiltrierten Gewebe, das gleichzeitig vorliegende Lymphödem sowie die zum Teil große Ausdehnung der Tumoren an anatomisch ungünstiger Stelle. Dies bei einer gleichzeitig bestehenden sehr schwierigen Gerinnungssituation mit oft instabilem Gesamtzustand des Patienten im Gerinnungsversagen.

Die interventionell-radiologische, perkutane, transarterielle Embolisationstherapie des KHE/TA mit dem Ziel einer zumindest teilweisen Devaskularisation stellt gerade auch in der klinisch schwierigen Gerinnungssituation eines Kasabach-Merritt-Phänomens eine gute invasive Alternative dar. Durch die interventionelle Devaskularisation kommt es direkt zu einer deutlich geringeren Thrombozytenaktivierung durch den verminderten oder teilweise je nach Radikalität der Embolisation dann ganz fehlenden Kontakt der Thrombozyten mit dem pathologischen Tumorgefäßendothel. Die Gerinnungsparameter können sich bereits 24 Stunden nach der Embolisation massiv verbessern. Durchgeführt wird diese Embolisation meist als Partikelembolisation über Mikrokatheter unter prophylaktischer Antikoagulation. Spezielle Kenntnisse in der pädiatrisch-interventionellen Radiologie sind hier bei den Säuglingen hilfreich, der Eingriff ist entsprechend erfahrenen interdisziplinären Zentren in der Zusammenarbeit von interventioneller Radiologie, Pädiatrie, Kinderchirurgie und Anästhesie vorbehalten.