Kapitel: Die Klassifikation der Gefäßanomalien
Artikel: 3 von 8
Update: 2020/02/03
Autor/en: Sadick, Maliha | Wohlgemuth, Walter A.
Einfache vaskuläre Malformationen setzen sich mehrheitlich aus einer einzigen fehlgebildeten dominierenden Gefäßkomponente zusammen, also entweder aus Venen, Arterien, Kapillaren oder Lymphgefäßen (mit Ausnahme der arteriovenösen Malformationen). Basierend auf ihrer Flußdynamik unterteilt man Gefäßmalformationen zudem in langsam-fließende (slow-flow: venöse, lymphatische, kapilläre Malformationen) und schnell-fließende (fast-flow: arteriovenöse Malformationen bzw. angeborene arteriovenöse Fisteln) Malformationen, denen sich eine Vielzahl von individuellen Krankheitsbildern zuordnen lässt. Diese grundsätzliche Einteilung in langsam fliessende Malformationen (slow-flow) und Malformationen mit sehr schnellem Blutdurchfluss (fast-flow) ist sehr wichtig, sowohl für die Art der durchzuführenden Therapie als auch die Prognose.
In Anlehnung an die ISSVA-Klassifikation findet sich in der nachfolgenden Tabelle eine Übersicht zur Einteilung einfacher vaskulärer Malformationen.
Flußdynamik | Gefäßkomponente | Krankheitsbild |
---|---|---|
slow-flow | Kapilläre Malformation (KM) |
|
slow-flow | Lymphatische Malformation (LM) |
|
slow-flow | Venöse Malformation (VM) |
|
fast-flow | Arteriovenöse Malformation (AVM) |
|
fast-flow | Arteriovenöse Fistel (AVF) |
|
Abkürzungen Tabelle
AVF: arteriovenöse Fistel, AVM: arteriovenöse Malformation, CCLA: central conducting lymphatic anomaly, CCM: zerebral kavernöse Malformation, CMTC: Cutis marmorata teleangiectatica congenital, GLA: generalisierte lymphatische Anomalie, GVM: glomuvenöse Malformation, HHT: hereditäre hemorrhagische Teleangiektasie, KM: kapilläre Malformation, LM: lymphatische Malformation, VMCM: familiäre mukokutane venöse Malformation, PTEN: PTEN hamatoma syndrome
Kapilläre Malformationen (KM) machen ca. 9 % aller einfachen Malformationen aus und manifestieren sich bereits bei der Geburt als umschriebene Rötung, vor allem in der Haut oder Schleimhaut mit scharfer Begrenzung zur Umgebung, und wachsen mit der Größenzunahme des Patienten proportional mit. Sie bestehen aus erweiterten, dysplastischen Kapillaren in der Haut, diese scheinen als rote Flecken durch die Haut durch. Die Diagnose kann in der Regel aufgrund ihrer markanten klinischen Erscheinung gestellt werden. Sie manifestieren sich als im Niveau der Haut gelegene rote, scharf abgegrenzte Hautflächen oder Flecken. Unmittelbar nach Geburt sind sie meist von dunkelroter bzw. fast himbeerroter Farbe, können mit der Zeit etwas abblassen oder aber mit Hyperkeratosen einhergehen. Sie persistieren lebenslang und sind gelegentlich mit einer isolierten Hypertrophie der betroffenen Körperregion oder Extremität (KM-Hemihyperplasie-Syndrom) beziehungsweise des darunterliegenden Weichteilgewebes (v. a. im Gesicht) vergesellschaftet.
Der Anteil an lymphatischen Malformationen (LM) beträgt ca. 15 % aller einfachen Gefäßmalformationen. Sie bestehen aus mehr oder weniger reifen, dysplastischen Lymphgefäßen und können auch umschriebene, zystische Raumforderungen bilden. Bevorzugt werden sie im Säuglings- und Kleinkindesalter als umschriebene, meist hautfarbene Schwellung an den verschiedensten Körperregionen auffällig. Sie tasten sich weich, da sie aus lymphgefüllten zystischen Hohlräumen bestehen.
Sie manifestieren sich in Form von mikrozystischen, makrozystischen oder kombiniert mikro- und makrozystischen Gefäßanomalien. Prädilektionsstellen für lymphatische Malformationen sind in 67 % die Kopf-Hals-Region, gefolgt von Rumpf, Thoraxwand, Achselhöhle und den Extremitäten in 30 %. Selten manifestieren sie sich in den parenchymatösen Organen, wo sie bis zu 3 % auftreten können. Eine Sonderform lymphatischer Malformationen repräsentiert das sehr seltene Gorham-Stout-Syndrom, auch als „vanishing bone disease“ bezeichnet, in dem Lymphgewebe Knochengewebe ersetzt bzw. zerstört und zu Osteolysen führen kann. Bei der Generalized Lymphatic Anomaly (GLA) sind ebenfalls die Knochen betroffen, jedoch nicht in einer solch expansiven Form wie beim Gorham-Stout-Syndrom. Zusätzlich können innere Organe betroffen sein. Bei der Central Conducting Lymphatic Anomaly (CCLA) liegt durch eine Fehlbildung (Hypoplasie, Aplasie) von zentralen Lymphleitern im Abdomen und/oder Thorax ein Rückstau von Lymphe vor, der zu Beinödemen, einer exsudativen Enteropathie und/oder zu rezidivierendem lymphatischem Ascites oder Pleuraerguss führt.
Venöse Malformationen (VM) sind mit 70 % die häufigste slow-flow-Gefäßanomalie. Sie besteht aus dysplastischen, schwammartigen oder eher tubulären Raumforderungen, deren Wände wie Venen aufgebaut sind und Blut enthalten. Sie können in Form einer kleinen, oberflächlichen Gefäßanomalie, die oftmals bläulich durch die Haut schimmert oder auch als voluminöse Malformation mit Ausbreitung an den Extremitäten oder den Organen in nahezu jeder Körperregion auftreten. Venöse Malformationen durchziehen oft zahlreiche Gewebeschichten und können sich von kutan bis intraossär ausdehnen mit entsprechend vielfältiger klinischer Beschwerdesymptomatik. Eine durch die venöse Malformation verursachte, bläuliche Dyskoloration der Haut durch malformierte Venenkonvolute kann für die Betroffenen durchaus auch eine kosmetische Einschränkung darstellen.
Häufig sind Schmerzen und funktionelle Einschränkungen, die durch rezidivierende Thrombophlebitiden innerhalb der dysplastischen venösen Gefäßkanäle verursacht werden können.
Arteriovenöse Malformationen (AVM) und die noch selteneren angeborenen arteriovenösen Fisteln machen mit ca. 6 % den kleinsten Anteil der einfachen Gefäßanomalien aus. Sie bestehen aus einem fehlgebildeten Gefäßareal, das sich bei der arteriovenösen Malformation als multiple netzartige arteriovenöse Shunts („Nidus“) manifestiert, bei den arteriovenösen Fisteln dagegen als eine einzige direkte arteriovenöse Shuntverbindung. Dieser Shunt stellt einen Kurzschluss des arteriellen (Zufluss) und venösen (Abfluss) Gefäßsystems dar. Durch diesen sehr schnellen Blutdurchfluss (fast-flow) fühlen sich die Läsionen durch die Haut oft warm und sogar pulsatil an. Die darüber befindliche Haut ist oftmals gerötet. Sie gehören zu den fast-flow-Malformationen, die je nach klinischer Manifestation und Aktivität, sicherlich die größte therapeutische Herausforderung darstellen, da sie schwer zu therapieren sind und häufig rezidivieren.