Bewegungstherapie und Physiotherapie

Störungen der Mobilität und Beweglichkeit sind bei Patienten mit Gefäßanomalien, gerade bei Lokalisation an den Extremitäten, häufig. Im Langzeitverlauf sind Einschränkungen der Funktionalität des Bewegungsapparates häufig jedoch nicht durch die Erkrankung der Gefäßanomalie selbst bedingt sondern durch sekundäre, erworbene Phänomene wie zu lange Immobilisation oder zu aggressive invasive oder operative Therapieversuche.

Die primären Gelenksproblematiken oder muskuloskellettalen Probleme der Gefäßmalformationen können und müssen frühzeitig interdisziplinär unter Einbeziehung entsprechender orthopädischer Expertise behandelt werden, dies ist in den meisten Fällen auch möglich.

Ursache von bleibenden Funktionseinschränkungen sind häufig unbehandelte oder nicht adäquat behandelte Schmerzen mit sekundärer, schmerzbedingter viel zu langer Immobilität. Eine langanhaltende Immobilität führt zur Verkürzung von Sehnen und Muskeln sowie auch Verkürzung von kapsuloligamentären Strukturen um Gelenke sowie Abbau von Knochenmasse und -stabilität. Dies ist dann manchmal  kaum noch konservativ zu behandeln.

Andere sekundäre Ursache einer muskuloskelettalen Funktionseinschränkung sind oft auch inadäquate, manchmal deutlich zu radikale, falsch angesetzte oder durchgeführte invasive operative Therapien, im Speziellen meist unnötige oder falsch durchgeführte offene Teilresektionsoperationen.

Häufig wird die betroffene Extremität auch ohne Schmerzen oder Symptome übermäßig geschont aus Angst, hier etwas „kaputt“ zu machen oder z. B. eine Blutung auszulösen. Diese Angst ist in den allermeisten Fällen bei Patienten mit Gefäßanomalien nicht berechtigt.

Verstärkt wird diese falsche Neigung zur übermäßigen Schonung und nicht Mitbenutzung der betroffenen Extremität oft noch durch sicher gut gemeinte Ratschläge von Ärzten oder medizinischem Fachpersonal, das im Zweifelsfall (einschlägige Erfahrung liegt bei dem seltenen Krankheitsbild manchmal nicht vor) eher „zur Sicherheit“ eine übermäßige Schonung empfiehlt. Dies ist nicht nur nicht evidenzbasiert, sondern schlicht falsch.

Ausreichende Bewegung ist bei den meisten Patienten mit Gefäßanomalien primär indiziert.

Konsequente Bewegung und auch ständige Benutzung von betroffenen Körperregionen, in der Praxis meist der Beine oder Arme, ist in vielerlei Hinsicht hilfreich:

  • Verhinderung von Funktionsverlust, Immobilitätsatrophie und letztlich Kontrakturen.
  • Verminderung des Gewebedrucks und Minderung des Ödems durch Abtransport von interstitieller Ödemflüssigkeit über die Muskelpumpe.
  • „Auspumpen“ von venösen Malformationsarealen mit LIC und kleinen Gerinnseln, damit auch Verminderung des Auftretens von schmerzhaften Thrombophlebitiden.

Die Anwendung der Bewegungstherapie, die ein noch junges Fach mit relativ wenigen wissenschaftlich gesicherten Erkenntnissen ist, stellt aus Expertensicht aus den genannten Gründen im Prinzip eine sehr effektive Behandlungsmethode dar.

Sie besteht meist aus einer initialen Anamnese und Untersuchungsphase, bei der sich der Therapeut mit dem spezifischen Krankheitsmuster des Patienten vertraut macht.

In einer anschließenden Anleitungsphase wird  der Patient in spezifische Bewegungstherapiemuster und –elemente sowie in selbst anzuwendende Übungen eingewiesen.

Besonders wichtig und wertvoll zur schnelleren Wiedererlangung und auch zum Erhalt der muskuloskelettalen Körperfunktionen ist eine intensive physiotherapeutische Behandlung gerade nach längeren akuten Krankheitsphasen oder nach größeren invasiven Eingriffen (sei es interventionell oder offen operativ).

Kontraindikationen für Bewegung sind lediglich eine offene Wunde, eine bestehende Gewebeischämie oder eine akute Entzündung (Erysipel).

Die Gefahr einer relevanten, größeren Blutung besteht bei Patienten mit Slow-flow-Malformationen (venöse oder lymphatische Malformationen) kaum, da diese dysplastischen Gefäße nicht unter Druck stehen. Eine eventuelle Blutung (z. B. durch eine direkte offene Verletzung) kann bei diesen Patienten durch einfache Kompression von außen leicht zum Stillstand gebracht werden. Eine relevante Blutungsgefahr besteht lediglich bei Patienten mit Fast-flow-Malformationen (z. B. arteriovenöse Malformationen) und gleichzeitig bestehenden offenen Wunden oder Ulzerationen beziehungsweise bei einer offenen Verletzung.

Auch hier gilt, dass eine frühzeitige, fachlich gut angeleitete Physiotherapie nicht nur hilft Spätschäden zu vermeiden, sondern dem Patienten auch Zutrauen gibt und vermeiden hilft, dass falsche Bewegungs- und Schonungsmuster eingeübt werden.

Angesichts des eher seltenen Krankheitsbildes der Gefäßanomalien ist es sicherlich sinnvoll, dass eine enge Beziehung und kommunikative Abstimmung zwischen dem Patienten, dem Therapeuten und den behandelnden Spezialisten besteht.